Halte zu Belarus!

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Belarus: Trotz der starken Unterdrückung der Opposition hält sich Widerstand

Gemeinsame Kampagne von ACAT Schweiz und ACAT Luxemburg

Unmenschliche Behandlung durch den Staat, bis hin zu Folter: Das gibt es auch in Europa noch. Seit 2020 wehrt sich die belarussische Bevölkerung friedlich, aber mit Überzeugung und Durchhaltewillen gegen ihren langjährigen Diktator Alexander Lukaschenko. Wir erklären, warum in Belarus kaum jemand ohne Tasche das Haus verlässt und warum Belarus unsere Aufmerksamkeit weiterhin – und vielleicht mehr als je – braucht.

In Belarus sieht ein normaler Tag für viele so aus: „Wenn Sie morgens aus dem Haus gehen und zur Arbeit fahren, müssen Sie immer eine Tasche mitnehmen. Darin verstauen Sie frische Kleider und Ihr Necessaire für den Fall, dass Sie von der Straße weg verhaftet und ins Gefängnis gesteckt werden — sei es, weil Sie in einer Textnachricht die Revolution erwähnen oder an einer Kundgebung teilnehmen. Auch in der Wohnung fühlt man sich nicht sicher.“ So beschrieb es die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja am 1. April 2021 in einer Sendung des SRF.

Dank flächendeckender Wahlfälschung bei der Wahl vom 9. August 2020 konnte Lukaschenko sich eine sechste Amtszeit sichern. Tichanowskaja jedoch gilt im In- und Ausland als die wahre Wahlsiegerin. Am Tag nach der Wahlfarce war die Oppositionsführerin im Staatsfernsehen zu sehen. In einer erzwungenen Erklärung „gestand“ sie ihre Niederlage ein und warnte ihre Anhänger davor, sich an Protesten zu beteiligen. Daraufhin wurde sie des Landes verwiesen. „Gott bewahre, dass du jemals vor der gleichen Entscheidung stehst wie ich“, sagte sie in einem späteren Statement. Es war ihr unter anderem damit gedroht worden, dass man ihren Kindern und ihrem Mann etwas antun würde, falls sie in Belarus geblieben wäre.

„Wir alle sind stark genug, um die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen und alle Unschuldigen freizulassen. Behalten Sie Belarus auf der Agenda. Sprechen Sie laut über die politische Menschenrechtskrise und die mutigen Belarussen. Helfen Sie weiterhin den politischen Gefangenen, bis sie alle frei sind. Halten Sie zu Belarus!“

Svetlana Tikhanovskaïa, auf Twitter, Januar 2022


5000 Beschwerden über Folter und Misshandlung

Die Ausschaltung der Opposition und die schamlosen Manipulationen trieben die Menschen zu Hunderttausenden auf die Straßen. Monatelange, stets friedliche Massenproteste folgten – und eine harte Repression, die bis heute anhält. Die führenden Köpfe der Protestbewegung wurden entweder verhaftet oder verließen das Land. Nach und nach wurde der Protest stiller. Verstummt ist er aber bei weitem nicht.

Im Frühjahr 2022 führen die ACAT Schweiz und die ACAT Luxemburg eine Aktion durch, die sich gegen den belarussischen Staat wendet, zum Protest gegen die Verletzungen der Menschenrechte von Tausenden Oppositionsaktivisten, Journalisten, Bloggern, friedlich Demonstrierenden und einfachen Passanten nach den Demonstrationen, die auf die stark umstrittenen Ergebnisse der Präsidentschaftswahl vom 9. August 2020 Bezug nahmen. Wir wählen als Beispiele den Fall des Taxifahrers Viachaslau Rahashchuk (Bild links), der in Pinsk von mindestens fünf Polizisten gewaltsam und willkürlich festgenommen wurde, als er mit seiner Schwester und ihrem zwölfjährigen Sohn spazieren ging, und den Fall von Aliaksandr Kazlianka (Bild rechts), Aktivist und Mitglied der freien Gewerkschaft in Brest, der mehrmals festgenommen wurde und sich seit dem 2. März 2021 in Haft befindet. Die vollständige Übersetzung des Briefs finden Sie auf unserer Website.

Viachaslau Rahashchuk
Aliaksandr Kazlianka

Was wir fordern

  • sofortige und bedingungslose Freilassung von Viachaslau Rahashchuk und Aliaksandr Kazlianka, da sie allein wegen der Wahrnehmung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert worden sind, wobei die gegen sie erhobenen Anklagen fallengelassen werden und dass ihnen das Recht auf Einlegung eines Rechtsmittels gegen unbegründete strafrechtliche Verfahren garantiert wird;
  • umgehend unabhängige und unparteiische Untersuchungen wegen Vorwürfen der Folter und anderer Misshandlungen von Viachaslau Rahashchuk;
  • die Freilassung aller anderen politischen Gefangenen und all der Personen, die inhaftiert sind, weil sie in der Zeit nach der Wahl in Belarus von ihrem Recht, sich friedlich zu versammeln, Gebrauch gemacht haben.

Hintergrund

1994, drei Jahre nach Gründung der Republik Belarus kam Alexander Lukaschenko an die Macht und gab sie nicht mehr preis. Die Bevölkerung demonstrierte immer wieder, doch Lukaschenko gelang es jedes Mal, den Widerstand zu unterdrücken, danach folgten bescheidene Liberalisierungen Die Covid-19-Pandemie störte dieses Gleichgewicht: Das Regime verharmloste die Pandemie; die Zivilgesellschaft begann, sich selber zu helfen und zu organisieren. Die Solidarität war gewaltig. Die so entstandenen Netze bildeten ein paar Wochen später die Grundlage der Protestbewegung.

Die Menschen in Belarus haben immer wieder Mittel gefunden, trotz aller Widrigkeiten ihren Protest zu zeigen. Doch auch Lukaschenko legte an Kreativität zu. Kaum ein Vorfall zeigt dies besser als die berühmt-berüchtigte Entführung von Roman Protassewitsch, einem jungen Journalisten, der 2019 nach Polen fliehen musste. Er hatte auf sozialen Medien Informationen und Bildmaterial über staatliche Gewalthandlungen verbreitet. Am 23. Mai 2021 gelang dem Lukaschenko-Regime eine Flugzeugentführung, die weltweit durch die Medien ging. Das Flugzeug, das Protassewitsch von Athen nach Vilnius fliegen sollte, musste unter dem Vorwand einer Bombendrohung in Minsk landen. Roman und seine Freundin wurden festgenommen. Medien berichteten, wie der Aktivist zitternd gesagt habe: «Sie werden mich hinrichten». Später ließ das Regime ein Video mit erzwungenen Geständnissen von Roman verbreiten. In seinem Gesicht waren Spuren von Folterungen deutlich sichtbar. Am 24. Januar 2022 erschien er in der Sendung eines regierungsfreundlichen Kanals und erklärte, er arbeite inzwischen für den Staat. Es war nicht das erste Mal, dass Lukaschenko Druck auf einen Kritiker ausübte, um ihn danach der Öffentlichkeit zu präsentieren. Es ist schwer zu sagen, in welcher Situation sich Protassewitsch heute befindet.

Menschen benutzt wie Spielfiguren

Ein weiteres Beispiel der Methoden dieser Regierung ist die Instrumentalisierung von Geflüchteten aus den Nahen Osten, die ab Juni 2021 nach Belarus gelockt wurden. Das Regime schleuste sie zu den Grenzen von Litauen, Lettland und Polen – mit dem Auftrag, in die EU zu gelangen. Wie Spielfiguren sollten diese Menschen eine neue «Migrationskrise» auslösen und Druck aufbauen. Belarus erhoffte sich Lockerungen der Sanktionen, die die EU dem Land auferlegt hatte. Stattdessen antworteten mehrere EU-Länder mit Menschenrechtsverletzungen, schotteten sich ab, verweigerten diesen Flüchtlingen die Aufnahme und schoben sie ab. Zwischenzeitlich harrten Tausende Geflüchtete unter schrecklichsten Bedingungen in den Wäldern an der Grenze aus. Wie viele noch in den Wäldern sind, ist unklar. Sowohl auf der belarussischen als auch auf EU-Seite herrscht große Intransparenz.

Quelle: ACAT Suisse